Innova Sozialwerk e.V.

„Reisen mit Demenz. Geht das?“

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Christine Büring trifft auf Katrin Knechtel vom Demenz Netzwerk

Altenburg. Ich bin stolz auf mein gutes Gedächtnis. Es hat mich schon oft gerettet, wenn ich Unterlagen für eine Besprechung vergessen habe oder bei einer Stadtführung exotische Dinge gefragt werde. Aber manchmal verlässt mich mein Gedächtnis auch. Vielen meiner gleichaltrigen Freunde zwischen 50 und 60 geht es genauso. Also kein Problem. Aber was ist, wenn ich plötzlich am Bahnhof vergessen würde, mit welchem Zug ich fahren wollte und wohin? Katrin Knechtel von Netzwerk Demenz im Altenburger Land lacht über solche Gedanken nicht. Sie kennt den Ernstfall. Nämlich, wenn plötzlich wirklich das Gedächtnis nicht mehr mitspielen will.

Es gibt viele Stufen der Demenz, sagt sie, aber allen gemein ist, dass der Betroffene versucht, diese „Ausreißer“ zu verbergen. Je schlimmer die Krankheit Demenz fortschreitet, desto wichtiger ist es, in gewohnten Abläufen zu leben. „Dann geht Reisen gar nicht mehr?“ frage ich. „Stressminimieren“, sagt Katrin Knechtel. „Mitschwingen, nicht widersprechen. Gemeinsam etwas tun. Keine Scheu vor Bewegung. Spazierengehen oder auch Radfahren, solange das der Körper mitmacht. Reden ist dabei ebenso wichtig wie das gemeinsame Tun.“ Die Erfahrung zeigt aber: eine Koppelung von geistiger Anregung und Bewegung helfen das Unabänderliche, das Vergessen, zu verlangsamen. Und wer sich nicht mehr traut allein mit dem Partner zu verreisen? Auf der Internetseite der Deutschen Alzheimer Gesellschafter findet man spezialisierte Reiseveranstalter. Diese Gruppenreisen sind auf die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen angepasst: das Programm ist mit Weile geplant. Es gibt viele Pausen auch für Toiletten. Häufig sind die Reisen von einer Pflegekraft begleitet, so dass gemeinsamer unbeschwerter Urlaub länger möglich ist. Infos zum Reisen finden sich auch in Demenz-Mappen des Altenburger Netzwerks Demenz des Innova Sozialwerks e.V., für das Katrin Knechtel als Psychologin tätig ist. Sie rät: Etwas Vertrautes sollte am Urlaubsort sein. So ist es überlegenswert, an Orte mit positiven Erinnerungen fahren, die man vorher schon besucht hat. Doch Vorsicht: bitte keine Enttäuschung, wenn es kein Wiedererkennen mehr gibt. Unsicherheit ist immer Stress. Dazu gehört auch das „Sich-nicht-verstanden-fühlen“, weil man sich an Örtlichkeiten und Erlebnisse nicht mehr oder nicht mehr korrekt erinnern kann. Bedingungslose Akzeptanz für Gesagtes und Getanes ist nicht einfach, aber am Ende gibt es für Angehörige keine Alternative, betont Katrin Knechtel.

Denn die Berichtigung des Gedächtnisfehlers schafft Unsicherheit und dies wieder Stress und damit tut sich ein eh schon belastetes Gehirn eben schwer. „Das geht uns allen so“, denke ich mir. Mein Onkel ist seit vielen Jahren schwer dement. Meine Tante hat ihn aber lange überall hin mitgenommen. Sie hat von allen verlangt, ihn wie einen „normalen“ Menschen zu behandeln. Sie hat beschlossen, ihn weiter am Leben teilhaben zu lassen, auch wenn dies für sie Anstrengung und immer gute Planung verlangt hat. Also reisen Sie mit ihren dementen Angehhörigen, solange es geht. Die Orte und Sehenswürdigkeiten werden vergessen, aber das Gefühldabei zu sein, geliebt und umsorgt zu werden, trägt dazu bei, dass demente Menschen Freude am Leben empfinden, auch wenn dies ein wenig langsamer wird als wir das in unserer so aktiven Welt gewohnt sind. Und irgendwann geht Urlaub dann nicht mehr. Dann kann man aber davon erzählen, sagt meine Tante und Katrin Knechtel bestätigt das.


29.04.2019
Quelle: Kurier, 27. April 2019

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